Linde Burkhardt Texte

Schutzgöttinen

März 2012

Linde Burkhardt

Persönlich gehe ich davon aus, dass nicht zu klären ist, ob es ein göttliches Wesen gibt oder nicht. Das heißt, dass ich eine solche Existenz nicht ausschließe, weil ich davon überzeugt bin, dass unser heutiges Wissen nicht dazu ausreicht entsprechende Fragen zu beantworten so wie das auch in einigen anderen Lebensbereichen noch der Fall ist.

Trotzdem: Schutzgöttinnen.

Die künstlerische Überlieferung aller alten Kulturen weist eine Überfülle an göttlichen Wesen, Halbgöttern, Göttern, Schutzgöttern, Ortsgöttern auf. Sichtbar wird, dass in allen Weltgegenden sich die Menschen immer Auswege gesucht haben: Angesichts erlebter eigener Schwächen, den vielfachen Verletzbarkeiten, aber auch zum Schutz wichtiger gesellschaftlicher Zusammenhänge oder Lebensbereiche war die Sehnsucht nach Zuwendung, Hilfe von Stärkeren, Klügeren, Mächtigeren, Vorausblickenden, Wohlwollenden, Strafenden groß. Die Menschen haben sich sehr spezifische Ansprechpartner geschaffen, denen man Leid klagen, die man um Hilfe anflehen kann, die immer schützen, die bei der Bewältigung des Lebens hilfreich sein können. Voraussetzung ist, dass diese als Partner erkannt, auch anerkannt werden, dass man sie ehrt und dies durch Gaben und Gebete immer wieder bekräftigt.

Bei den alten Ägyptern stellte man sich vor, dass das, was wir heute ihre Götter nennen, Wesen sind, die innerhalb unserer Welt leben, die nur viel begabter sind als wir Menschen, die von allem viel, viel mehr haben als wir selbst und deshalb auch zu Hilfe eilen können. Entscheidend war, dass man ihnen opferte, sie also in ihren Funktionen ernst nahm, sich ihnen wohlgefällig verhielt.

Das fasziniert mich. Da wo deutlich wird, dass es Mangel gibt, dass Wichtiges durch kollektive oder individuelle Unaufmerksamkeit oder bewusste Steuerung verloren geht, könnten wir allein durch verstärkte Aufmerksamkeit Vieles ändern. Wer spricht bei uns heute schon von geistigem Wohlbefinden? In Indien gibt es die Göttin LAKSHMI, die neben anderen segensreichen Eigenschaften, sich darum bemüht geistiges Wohlbefinden zu bescheren und zu erhalten.

Ich bin sicher, dass allein schon der Gedanke an diesen so sehr ersehnten Zustand einiges bewirken kann. Die kleine Plastik LAKSHMI erinnert mich Tag für Tag daran, dass es da einen Zustand des Wohlbefindens geben könnte, dass ich aber etwas dafür tun muss, denn unsere Gesellschaften betrachten ihn nicht mehr als wichtig. LAKSHMI in Form einer kleinen Plastik, weist mich Tag für Tag darauf hin, dass ich selbst mein geistiges Wohlbefinden in die Hand nehmen muss. Die kleine Schutzgöttin bewirkt nur, dass ich hier eine Priorität setze und damit kann vieles bewirkt werden.

Wer würde nicht unterschreiben, dass Künste und Kultur beschützt werde müssen? SARASWATI kann täglich daran erinnern, dass es da großen Mangel gibt.

Das Alter nimmt zu, das Gedächtnis ab: MNEMOSYNE.

Unsere Gesundheit ist nicht gesichert, aber CARNA kann daran erinnern, dass wir durch unsere Lebensführung, durch bestimmtes Tun oder Unterlassen Schädliches in Grenzen halten oder abwenden. TAJET schützt die Webkunst, BELISAMA das Handwerk und SAGA die Geschichtsschreibung.

Man kann einwenden, dass so die Plastiken eher die Funktion von Merkzeichen haben, dass alles „schutzgöttliche“ damit nichts zu tun hat. Man könnte sie auch durch einen groß geschrieben Zettel ersetzen: DENKE AN DEIN GEISTIGES WOHLBEFINDEN, auf GESUNDHEIT!, auf KULTUR ….

Ich zähle aber auf die ästhetische Wirkung der SCHUTZGÖTTINNEN, auf eine Faszination, die die einzelne Figur in einer individuellen Lebensumgebung entwickeln kann und es möglich macht Beziehungen zu ihr aufzubauen. Dann gibt es einen ästhetischen Ort, mit dem das Interesse an geistigem Wohlbefinden, dem Gedächtnis, oder der Gesundheit sehr eng verknüpft ist. Veränderung und Entwicklung ist in vielen Lebensbereichen nötig und möglich. Die Schutzgöttinnen können die Funktion haben uns oft lustvoll daran zu erinnern.