Linde Burkhardt Texte

Percursos

2012

Wie sich mir Portugal langsam erschlossen hat und wie ich in PERCURSOS versuche, dieses faszinierende Land auf meine Weise sichtbar zu machen.

Die Keramik-Objekte „Percursos“ im Bereich Keramik durchstöbern. Im März 2012 wurden sie in einer Ausstellung gezeigt, im September 2012 sind sie noch einmal in Lissabon zu sehen.

Portugal kannte ich lange nur schemenhaft aus Geschichtsbüchern: Aufbau des portugiesischen Kolonialreichs, die Seemacht, der Eroberer Heinrich der Seefahrer und Vasco da Gama, der den Seeweg nach Indien entdeckte, die älteste Universität, Coimbra, Lissabon, das glänzende Wirtschaftszentrum, welches seit dem 15. Jahrhundert Künstler, Handwerker und Kaufleute anzog und 1755 durch das Erdbeben fast völlig zerstört wurde. Goethe und Kleist haben vom Erdbeben in Lissabon berichtet. Und ich hatte davon gelesen, dass man vor der Entdeckung Amerikas glaubte, dass Portugal am äußersten Rande der westlichen Welt liege und dass dort die Hölle beginne.

Unerwartet bekamen meine blassen Vorstellungen von Portugal Farbe durch die Bekanntschaft mit Alvaro Siza, mit dem meinen Mann und mich seit 1976 eine herzliche Freundschaft verbindet.

Alvaro war nach Berlin gekommen, um an einer Entwurfswoche des Design-Centers teilzunehmen. Er war unser Gast, und dadurch ergab sich oft Gelegenheit sich auszutauschen. Er hat mich mit seinen klaren, sensiblen, strahlenden Architekturen beeindruckt und mit seinen Erzählungen auf Portugal neugierig gemacht. Er hat mir als Erster portugiesische Schriftsteller empfohlen. Zwar konnte ich sie nicht alle lesen, weil sie nicht übersetzt waren, aber Fernando Pessoa hat mich mächtig in seinen Bann geschlagen. Erst viel später habe ich dann gelesen, wie ihn Antonio Tabucchi als einen der bedeutendsten Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts beschreibt.

„Jeder von uns ist mehrere, ist viele, ist ein Übermaß an Selbsten.“ (F.Pessoa in „Buch der Unruhe“, Fragment Nr. 124) „Cada um de nós é vários, é muitos,é uma prolixidade de si mesmos.“ (F.Pessoa, „Livro do Desassossego“, Nr. 124.) Das ist ein Satz der mir aufgefallen war und der mir zu denken gab. Pessoa der sich sozusagen verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht hat in seinen Dichtungen. Heteronyme werden die von ihm erfundenen Dichter verschiedenster Herkunft und Berufe genannt, für welche Pessoa je ein eigenständiges literarisches Werk geschrieben hat. Er ließ die ausgedachten Dichter miteinander debattieren, sich streiten oder loben und veröffentlichte sie in seiner Zeitschrift „Orpheus“. Ich habe bei weitem nicht alle Texte von Pessoa gelesen, aber die Begeisterung für die Möglichkeit, die sich ein Einzelner schafft, so ungehemmt in den Werken der von ihm selbst geschaffenen Figuren den verschiedensten Varianten seiner Weltsicht nachzugehen und sie zu diskutieren, erschien und erscheint mir heute einfach grandios.

Bei vielen bildenden Künstlern kenne ich die zeitliche Aufeinanderfolge von sehr verschiedenen Ausdrucksweisen in ihren Werken. Allen bekannt sind diese Wandlungen im Werk von Pablo Picasso und Gerhard Richter. Aber ich kenne niemanden, der sozusagen parallel, am selben Abend , in der selben Nacht, gezielt an so unterschiedlichen Werken gearbeitet hat wie Pessoa.

Pessoa ist der Ausgangspunkt für Teppichentwürfe, in welchen ich einige, vielleicht winzige Aspekte aus dem Werk von Fernando Pessoa und dreien seiner wichtigsten Heteronyme - Alberto Caeiro, Ricardo Reis und Alvaro de Campos - aus meiner Sicht bildnerisch interpretiere.

Die Übertragung subjektiver Empfindungen bei der Lektüre in das durch Farbe und Form bestimmte Medium der Malerei mag dem Betrachter wie ein willkürlicher Akt erscheinen. Dieses um so mehr, als die Umsetzung sich auch nur auf kleine Ausschnitte aus dem jeweiligen Werk bezieht, welches noch viele andere, zum Teil gegenläufige Seiten aufweist. Um meine Entscheidungen in etwa nachvollziehbar zu machern, zitiere ich einige kurze Ausschnitte, auf welche sich die farbigen Entwürfe und die Teppiche beziehen.

Zu Fernando Pessoa

Er wirkt auf Fotografien und in seinen Texten melancholisch, menschenscheu, weltabgewandt, depressiv – in Farbe ausgedrückt entspricht das eher endlosem Grau. Ich habe ihm Rottöne zugeordnet, weil ich hinter seiner Erscheinung und der unglaublichen Vielfalt seines Werkes eine geradezu glühende Parteinahme für die vielen Möglichkeiten des Denkens, des Schreibens und Philosophierens und der Debatte über das alles spüre. „[…] Wir alle, die wir träumen und denken, sind Buchhalter und Hilfsbuchhalter in einem Stoffgeschäft oder in irgendeinem anderen Geschäft in irgendeiner Unterstadt. Wir führen Buch und erleiden Verluste; wir ziehen die Summe und gehen vorüber; wir schließen die Bilanz , und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns.“ (aus „Buch der Unruhe“, Fragment 124)

Zu Alberto Caeiro

Pessoa nennt Alberto Caeiro seinen Meister, und auch die anderen Heteronyme betrachten ihn als ihren Meister. Caeiro lebte -nach Pessoa- von 1889 − 1915, abgeschieden auf dem Lande im Ribatejo. Nahezu ungebildet gibt er sich der Betrachtung der Natur hin. Er nimmt die Natur so, wie er sie im Augenblick über die seine Sinne erfahren kann. Jedes Ding steht für sich, es gibt keine verschlüsselten Geheimnisse dahinter.

„Ich bin ein Hirte
Die Herde sind meine Gedanken
Un meine Gedanken sind allesamt Sinnesempfindungen
Ich denke mit Augen und Ohren
Mit Händen und Füßen
Mit Nase und Mund“
(aus: Hüter der Herden)

„Sou um guardador de rebanhos.
O rebanho é os meus pensamentos
E os meus pensamentos sao todos sensações.
Penso com os olhos e com os ouvidos
E com as maos e os pés
E com o nariz e a boca.
(O Guardador de Rebanhos)

Zu Alvaro de Campos

Pessoa denkt ihn sich als Schiffsingenieur, als Mann des Südens, der an der Algarve in Tavira geboren ist. Er sieht ih als makellosen Dandy, elegant und neurotisch, von Ängsten geplagt.

„Das Leben aufräumen, Fächer einrichten im Wollen und Handeln. Das will ich jetzt tun, wie ich’s immer wollte, mit immer dem gleichen Ergebnis; aber wie gut, wenn man den klaren Vorsatz hat, nur in der Klarheit fest,irgendetwas zu tun“ (aus: Auslassungszeichen)

„Arrumar a vida, pôr prateleira na vontade e na acção. Quero fazer isto agora, como sempre quis, com o mesmo resultado; Mas que bom ter o propósito claro, firme só na clareza, de fazer qualquer coisa! (Reticências)

Zu Ricardo Reis

Pessoa lässt Ricardo Reis 1887 in Porto zur Welt kommen. Er ist Arzt. Seine Leidenschaft gilt Klassizismus und Hellenismus. Seine bevorzugte Lektüre ist Horaz. Er selbst schreibt gerne Oden.

„Woge auf Woge rollt eilig
Ihre grüne Bewegung aus
   Und zischt weiß ihren Schaum
   An die dunklen Gestade

Wolke auf Wolke reißt langsam
Ihre runde Bewegung auf,
   Und die Sonne erwärmt den Luft-
   Raum zwischen den spärlichen Wolken

Gleichmütig gegen mich wie ich gegen sie
Ändert die Natur dieses stillen Tages
   Wenig an meinem Empfinden,
   Dass die Zeit verfliegt.

Nur ein vager wankelmütiger Kummer
Bleibt kurz vor meiner Seele stehen,
   Betrachtet mich flüchtig
   Und geht, lächelnd über nichts.“
   (aus: Oden. Erstes Buch)

„Uma após uma as ondas apressadas
Enrolam o seu verde movimento
   E chiam a alva spuma
   No moreno das parias.

Uma após uma as nuvens vagarosas
Rasgam o seu redondo movimento
   E o sol aquece o spaco
   Do ar entre as nuvens scassas

Indiferente a mim e eu a ela
a natureza deste dia calmo
   Furta pouco ao meo senso
   De se esvair o tempo

Só uma vaga pena inconsequente
Pára um momento à rota da minha alma
   E após fitar-me um pouco
   Passa, a sorrir de nada.“
   23.11.1918
   (Odes. Livro Primeiro)

Zur Schwarzen Keramik

1977 schenkte Alvaro Siza uns ein Buch, an welchem sein Lehrer und Meister, der Architekt Fernando Tavora, verantwortlich mitgearbeitet hatte: ARCHITEKTUR POPULAR EM PORTUGAL. Thema ist der architektonische Regionalismus in der portugiesischen Architektur. Aus allen Gegenden Portugals sind Seite für Seite prächtige und ganz schlichte, städtische und ländliche Architekturen zusammengetragen, für die jeweiligen Gegenden typisch. Diese Bilder haben in mir ein unbekanntes Portugal entstehen lassen.

Auf einigen Fotos sah ich in Regalen der weißgetünchten Küchen unglasierte schwarze Teller, Krüge, Schüsseln stehen. Ich war begeistert von der Einfachheit und Kraft dieser Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs und deren großartigen ästhetischen Wirkung.

Seither interessiert mich die uralte Technik der schwarzen Keramik, die von Etruskern, Afrikanern und südamerikanischen Völkern auf höchstem Niveau seit Jahrtausenden betrieben wird. Überall wurden und werden teilweise noch heute gleiche oder sehr ähnliche Techniken benutzt, um den Ton schwarz zu brennen. Jahrtausende lang wurden für diesen Brennvorgang Erdöfen im Freien verwendet. Die leicht getrockneten Keramiken werden in eine Erdgrube gestellt, die mit leicht feuchten Gräsern, Stroh, Blättern, Reisig (oder in Bolivien auch Lamamist) ausstaffiert ist. Bevor der Erdofen verschlossen wird, entzündet man die brennbaren Materialien. Reisig, Gräser, Stroh und Holz beginnen zu brennen, zu qualmen und zu schwelen. Es entsteht dichter sehr russhaltiger Rauch. Drei Tage und drei Nächte lang werden die Keramiken unter ständiger Aufsicht gebrannt und färben sich schwarz.

Der überall ähnliche Brennvorgang, der der Keramik durch Atmosphärenreduktion die schwarze, tief in die Keramik eindringende Farbe gibt, wird regional durch verschiedene Techniken der Verfeinerung oder Veredelung der Gebrauchsgegenstände ergänzt.

Besonderer Wertschätzung erfreuen sich die etruskischen „Bucchero-Vasen“ aus dem 7. und 6. Jahrhundert v.Chr., die durch raffinierte Bearbeitungstechniken schwarz glänzen. Interessant ist, dass diese Vasen erst Ende des 19.Jahrhunderts den Zusatz „bucchero“ bekamen. In dieser Zeit nämlich importierte Italien aus Portugal schwarzes Geschirr, welches man „bucchero“ nannte. Das Wort „bucchero“ leitet sich aus dem portugiesischen Wort „bucáro“ ab, welches in Portugal „wohlriechende Erde“ bedeutet. Damit bezeichneten ursprünglich die portugiesischen Eroberer Südamerikas die dort beheimatete schwarze-graue Keramik. (Siehe dazu: Katalog „Bucchero - die Keramik der Etrusker“ 2001 Ruhruniversität Bochum.)

In Portugal ging ich auf die Suche nach Orten, an denen noch schwarze Keramik hergestellt wird. Tatsächlich ist die schwarze Keramik nur noch in kleinen Randbereichen aufzufinden, was erstaunt, wenn man weiß, dass sie im 19. Jahrhundert eine begehrte Exportware war.

Mit Hilfe und tatkräftiger Unterstützung von Cecilia Cavaca und Alvaro Siza konnte ich in der Gegend von Chavez, nahe bei Villa Real und in Tondéla-Molelhos Töpfer besuchen, die schwarze Keramik herstellen. Ich konnte studieren, wie nach überlieferten Techniken gearbeitet - auf ganz, ganz niedrigen Drehscheiben gedreht wird - und noch heute in großen Erdlöchern viele Keramiken gemeinsam gebrannt werden. Es war ein Blick auf schwerste, archaisch anmutende Arbeitsbedingungen.

In Tondéla-Molelhos bin ich dann auf Keramiker gestoßen, die zwar die alten Techniken im Umgang mit der Erde benutzen, aber das Brenngut in industriell hergestellten Brennöfen schwarz brennen können. Auch in diesen Öfen wird die schwarze Farbe der Keramiken durch Ruß aus Harzen erzeugt.

Fernando Pessoa schreibt in der Lebensgeschichte des Alberto Caeiro, dass dieser aus seinem „weissgetünchten, einsamen Haus die Welt betrachte“. Das weißgetünchte Haus, darin die die große Küche, hat sich in meinen Gedanken sofort mit den schwarzen Keramiken gefüllt, von denen Pessoa nicht spricht: den großen Tellern, Schüsseln und Krügen, den kleinen Essgefäßen, den Ölfläschchen, dem Honigtopf und dem Stövchen mit einem handlichen Gefäß, um Kastanien zu rösten.

Alle diese Keramiken existieren heute vorwiegend in Museen und Sammlungen. Nur einige dieser Gefäße werden noch auf Märkten von Keramikern feilgeboten oder stehen und hängen vor den einfachen weißen Häusern in der Nähe von Töpfereien und laden zum Kauf ein. Nur in Gesprächen hörte ich hie und da davon, dass sie bei der Großmutter in der Küche noch auf dem Kaminsims standen oder auch noch in Gebrauch waren. Da reifte der Entschluss, diese wunderbaren Keramiken des Alltags in eine Ausstellung zum Thema „Schwarze Keramik“ mit einzubeziehen. Die schlichten Gebrauchsgegenstände sollen in ihrer archaischen Schönheit und erstaunlichen Funktionalität sichtbar werden, die sich über Jahrhunderte herausgebildet haben. Sie sind inszeniert auf Sockeln oder Tischen aus Kastanienholz. Sie sollen Erstaunen wecken gegenüber dieser stillen, ländlichen, armen Kultur, die diesen Reichtum hervorgebracht hat.

Ich selbst wollte versuchen, mit schwarzer Keramik zu arbeiten, um zu sehen, welche Möglichkeiten dieses Material mit seinen interessanten Charakteristiken zu künstlerischer Gestaltung heute bietet. In Berlin habe ich Objekte entworfen und sie dann mit den Keramikern in Tondéla-Molelhos auf ihre Realisierbarkeit hin besprochen. Die keramischen Teile wurden von Alessandra Monteiro und Carlos Lima ausgeführt. Die beiden waren neugierig genug, sich auf dieses ungewohnte Projekt einzulassen, und haben mit viel Energie die Umsetzung der zum Teil großen keramischen Stücke betrieben. Grenzen für die Größe der Teile setzte eigentlich nur der Ofen, der im Freien aufgebaut ist.

Drinnen in der Werkstatt breitete sich ein sanfter Duft nach Eukalyptus aus. Er kam von Früchten der Eukalyptusbäume die rund um die Töpferwerkstatt wuchsen und in der Wärme des Ofens zu duften begannen.

Zu meinen Objekten

Ich sehe sie alle in Bezug zu Portugal mit seinen Überlieferungen und seinen Traditionen, wobei, ähnlich wie bei den Teppichentwürfen, manchmal Bedeutsames und manchmal eher Beiläufiges Ausgangspunkt für den Entwurf war.

Zum Beispiel: „Die Hölle“

Sie ist ein schwarzer Felsen, wie es sie in portugiesischen Gewässern gibt. Die Vorstellung, dass in einem dieser Felsen der Eingang zum Inferno liegt, hat weit über das ausgehende Mittelalter hinaus Gefühle der Angst und Unsicherheit geschürt, denn dort begann jahrhundertelang gefährliche Niemandsland. Zu eben diesen Überlieferungen lässt sich die „Zunge des Teufels“ ordnen, die hier als Trophäe vorgestellt wird.

„Kleiner Turm“

Ihm liegt die Gewohnheit der portugiesischen Eroberer zugrunde, an neu entdeckten Ufern oder auf Inseln sogenannte „padraos“ aufzustellen. Mit diesen plastischen Merkzeichen wurden die königlichen Besitzansprüche geltend gemacht. Jedes Eroberungsschiff war für alle Fälle mit kleinen, steinernen Säulen ausgerüstet. Sie trugen das Wappen des portugiesischen Königs, und die Daten der Eroberung wurden vor Ort an Bord eingemeißelt.

Ich bedanke mich herzlich bei allen, die durch Rat und Hilfe vielerlei Art diese Ausstellung ermöglicht haben.